Maison Gainsbourg: Serge, altes Haus (2024)

Schwarze Wände, volle Aschenbecher: In Paris kann man jetzt die Lebenshöhle des skandalösen Chansonniers Serge Gainsbourg besichtigen.

Von Matthias Krupa

Aus der ZEIT Nr.23/2024

Veröffentlicht am
Erschienen in DIE ZEIT Nr.23/2024

3 Kommentare
Maison Gainsbourg: Serge, altes Haus (1)

Steht dort auf dem Flügel wirklich eine Vogelspinne? Es ist recht dunkel in dem Haus, in dem Serge Gainsbourg mehr als 20 Jahre lang gelebt hat. Ich kneife die Augen zusammen. Aber ja, die behaarten Beine der Spinne sind sorgfältig präpariert, ein totes Tier unter Glas. Mein Blick wandert weiter durch den Raum und sucht nach einem Halt. Rechts am Kamin lehnt ein gerahmtes Foto, fast lebensgroß die junge Brigitte Bardot, ihre Arme hat sie über dem nackten Busen verschränkt. Darüber auf dem Sims vier goldene Schallplatten. Auf dem Boden, an den Wänden andere Bilder, viele Frauen. Gerahmte Zeitungsausschnitte. Und noch ein Piano. Auf dem Glastisch eine Packung Zigaretten, Gitanes, der Aschenbecher ist voll. Als wäre Gainsbourg gerade erst aufgestanden.

Serge Gainsbourg, der Sänger, Komponist, Schauspieler, Trinker, Raucher. Die Legende. Auch um sein Haus ranken sich viele Geschichten. Nun kann man es besuchen. Aber was ist das? Ein Denkmal, ein Museum, ein Geisterhaus? Mir kommt es vor wie eine Höhle.

Die Wände: schwarz. Die Decken: schwarz. Selbst das Schlafzimmer auf der ersten Etage ist schwarz. Und so niedrig, dass ich kaum aufrecht darin stehen kann. Auch das Bett, in dem Gainsbourg gestorben ist, ist schwarz. Im März 1991, an einem Herzinfarkt. Da war er 62 und hatte sich selbst zerstört.

Das Haus steht in Paris in der Rue de Verneuil, auf dem linken Ufer der Seine, nicht weit entfernt von den Cafés, in denen früher die Philosophen verkehrten. Paris quillt ja über vor Legenden. Gainsbourg hatte das Haus Ende der Sechzigerjahre gemeinsam mit Brigitte Bardot ausgesucht. Als er einzog, lebte er schon mit Jane Birkin zusammen. Je t’aime... moi non plus. Später lese ich nach: Auch dieses Lied hatte er ursprünglich für die Bardot geschrieben und dann mit Birkin interpretiert. Ein Skandal, ein Welterfolg, aber zurück in das Haus.

Eines der vielen Fotos, mit denen Gainsbourg sich umgeben hat, zeigt ihn zusammen mit seiner Tochter Charlotte. Sie ist darauf 14 und raucht, der Vater schaut ihr über die Schulter. Charlotte Gainsbourg ist die Tochter von Jane Birkin und Serge Gainsbourg, längst selbst eine berühmte Schauspielerin. Sie ist in der Rue de Verneuil aufgewachsen, bis die Eltern sich trennten. Nach dem Tod ihres Vaters hat sie das Haus abgeschlossen und alles so aufbewahrt, wie er es eingerichtet hatte. Mehr als 30 Jahre später hat sie es für Besucherinnen und Besucher geöffnet, zusammen mit einem kleinen Museum und einer Bar auf der anderen Straßenseite: die Maison Gainsbourg.

Der Eintritt ist streng geregelt, das Haus ist klein. Nur jeweils zwei Besucher pro Zimmer werden eingelassen, die Eintrittskarten sind entsprechend rar und müssen vorbestellt werden. Bevor ich eintreten darf, muss ich eine Weile auf der Straße warten. Zeit, um die Fassade zu studieren. Eine hohe Mauer schützt das flache Haus vor neugierigen Blicken, sie ist über und über mit Graffiti besprüht und mit Plakaten beklebt. Sehr auffällig in der ansonsten vornehmen Straße. "Hey Mann, ich bin gekommen und rauche eine Gitane, wie sehr ich Dich liebe", hat ein Clem auf die Mauer geschrieben. Über dem Eingangstor klebt eine Fläche aus blauen Mosaiksteinchen, darauf steht: "Gott ist ein Havanna-Raucher". Gebrauchte Pappbecher und verwelkte Blumen klemmen unter einem Gitter. Was Müll ist und was Andenken sind, lässt sich nicht immer unterscheiden. Mit einem großen, hingeschmierten Herzen bedankt sich ein unbekannter Besucher, vielleicht war es auch eine Besucherin, bei Gainsbourgs Tochter, wofür genau, ist unklar: "Merci, Charlotte".

Als ich an der Reihe bin, erklärt mir ein freundlicher Mitarbeiter die Regeln. Keine Fotos und bitte weitergehen, den Audioguide kann man nicht anhalten. Charlotte Gainsbourg hat ihn selbst besprochen. Mit sanfter Stimme führt sie durch das Haus und ihre Erinnerungen. Dort hinter der schwarzen Holztür war früher das Kinderzimmer, wo sie gemeinsam mit ihrer Halbschwester Kate lauschte, wenn die Eltern mit Besuch in der Küche saßen. Später, als der Vater alleine in dem Haus zurückgeblieben war, habe er die Tür zwischen Flur und Kinderzimmer zumauern lassen. "Eine radikale Lösung", sagt Charlotte Gainsbourg, aber so sei er gewesen.

Maison Gainsbourg: Serge, altes Haus (2024)
Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Velia Krajcik

Last Updated:

Views: 5787

Rating: 4.3 / 5 (74 voted)

Reviews: 89% of readers found this page helpful

Author information

Name: Velia Krajcik

Birthday: 1996-07-27

Address: 520 Balistreri Mount, South Armand, OR 60528

Phone: +466880739437

Job: Future Retail Associate

Hobby: Polo, Scouting, Worldbuilding, Cosplaying, Photography, Rowing, Nordic skating

Introduction: My name is Velia Krajcik, I am a handsome, clean, lucky, gleaming, magnificent, proud, glorious person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.